Morgens, so beim ersten Tageslicht und beim zweiten Kaffee bin ich bei den Hunden.
Sie leben in Zwingern, in Teams. Ich kann ihnen vom Fenster aus zusehen, wie sich die Ersten in den Tag hinein bewegen. Das ist immer etwas abhängig vom Wetter. Scheint schon die Sonne, ist es etwas trocken, sind sie auf den Beinen und in ihren Ausläufen. Regnet es, schauen sie missmutig aus ihren Häusern. Wie der Herr....
Zeitnah lassen wir sie heraus in den Freilauf. Alles sind dabei, meine starken Leaderinnen, meine Rüden, die frecheren Junghunde und auch immer mal ein aufgeweckter Welpe. Manchmal einen Gasthund oder eben Larry.
Larry ist unser 10 Jahre alter Tierschutzhund aus der "Altenburger Schäferhundehilfe e.V.". Ein großer Rüde, welcher bei mir einen Gnadenplatz bekommen hat. Er mag mich, ist aber nicht der Hund, der pausenlos kuscheln kommt. Er ist eher still, zieht sich zurück. Drängelt nicht vor, um an Streicheleinheiten oder an Leckerlies zu kommen. Oft fragt man sich, ob es da mit diesen Hunden eine gute Bindung gibt. Ein Hund der dritten Reihe eben. Meine Frau hat uns beide schon mal als "alte Knurrhähne" bezeichnet. Ich trage es mit Fassung, Larry sowieso. Unsere Kinder haben ihn von "Larry" in "Gerry" umgetauft. Das ist wohl der Schnecke aus Spongebob Schwammkopf angelehnt, sie sind in etwa gleich schnell.
So ein Gnadenplatz ist etwas feines. Dem Hund gefällt es meistens. Er hat im Alter nach einigen Missgeschicken in seinem Leben noch einen Platz bekommen, wo man sich um ihn kümmert. Mir gefällt es, denn ich mag den Larry sehr. Uns verbindet ja auch viel, wir sind uns in vielem ähnlich. Er isst gerne, ich auch und Rückenleiden haben wir beide. Mit Ehefrau Claudia kuscheln wir gerne mal, selbst er. Scheinbar sogar noch lieber als mit mir. Ich bin nur nicht kastriert.
Für alle also schick und harmonisch. Und eines Tages, wenn ich vielleicht vor unserem Schöpfer stehe, dann packt der die Liste meiner Taten heraus. Die der guten und der schlechten Taten, dann steht in der linken Spalte der guten Taten unter anderen auch der Name Larry. Sollte es vergessen worden sein beim Eintragen werde ich ihn darauf hinweisen.
"Hehe" werde ich sagen, "Moment mal, was ist mit Larry". Ich denke, das gibt einen Zusatzpunkt bei den guten Taten.
Gestern Morgen lasse ich nun wie jeden Tag das Rudel in den Freilauf. Sie freuen sich, haben Energie und toben im Auslauf herum. Aber sie kommen eben auch oft zu mir. Und ich nehme sie freudig in Empfang, bewege mich mit ihnen.
Alf, mein Nachwuchsrüde kuschelt natürlich besonders gern. Außerdem lässt er sich immer zu einem Spielchen hinreißen. Ich mache einen Schritt nach rechts, Alfi wie mein Spiegelbild mit. Einen Schritt nach links, mit gebeugtem Oberkörper, Alf spiegelt wieder. Und so beim zehnten mal des hin und her sehe ich die dritte Reihe.
Der alte, Arthrose-geschädigte Larry springt mit. Jede Bewegung von mir, nicht zu nah, nicht zu schnell, aber hin und her hüpfend, voller Begeisterung und voller Leben.
Ich habe mich so gefreut über ihn und seine Freude, seiner Bereitschaft, an unserem Spiel und damit auch an unserem Leben teilzunehmen. Auch wenn er es nicht immer zeigt. Aber heute zeigt er es, lässt den Vorhang ein wenig herunter. Ich lasse den Alf stehen und konzentriere mich auf den alten Knurrhahn. Und er beginnt mit mir zu tanzen, hin und her, voller Lebenslust und Liebe.
Irgendwann breche ich das Getanze ab und gehe zu ihm. Er lächelt sichtbar. Denn Glück in den Augen würde ich beim Hund als lächeln bezeichnen. Und er lässt sich ein wenig streicheln. Dann geht er mit einem Blick über die Schulter weg von mir, taucht in die Hundemeute ein und lässt mich tief ergriffen und glücklich zurück.
Und ob er es weiß oder eben nicht, aber er hat heute auch an seiner Liste gearbeitet. Die, der positiven Taten. Das muss ich ihm unbedingt noch sagen, dem alten Knurrhahn.